Biografische Angaben
Gustav Hoffmann (1875-1952) war ein evangelischer Pfarrer und Kirchenhistoriker. Der am 13. Juli 1875 in Leukershausen bei Crailsheim geborene Pfarrersohn besuchte in Oberroth bei Gaildorf die Schule, anschließend die Lateinschule in Gaildorf. Von 1889-1897 besuchte er das Obergymnasium in Hall und studierte evangelische Theologie in Tübingen. Nach der Ablegung der 1. Dienstprüfung 1897 leistete er das Vikariat bei seinem Vater in Mönsheim bei Leonberg ab. Nach weiteren Stationen als Stadt- und Parochialvikar in Welzheim trat er 1906 seine erste Pfarrstelle in Geifertshofen an. Im Frühjahr 1918 wechselte er auf die Pfarrstelle in Löchgau, die er bis zu seiner Pensionierung 1948 innehatte. Bekanntheit erlangte Hoffmann vor allem mit seinen kirchen- und lokalgeschichtlichen Forschungen, darunter insbesondere mit seinen monographischen Darstellungen "Kirchenheilige in Württemberg" und die "Geschichte des Dorfs Mönsheim". Daneben entstand eine große Zahl an Vorträgen und Aufsätzen zu kirchen- uns ortsgeschichtlichen Themen. Thematische Schwerpunkte waren neben der Erforschung konkreter Orte die Reformationszeit und der 30jährige Krieg in Württemberg, aber auch die Besiedelung und Christianisierung Württembergs. Die Aufsätze erschienen teils in den Württembergischen Blättern für Kirchengeschichte und der Zeitschrift für württembergische Landesgeschichte, aber auch als Beilagen regionaler und lokaler Zeitungen wie dem Schwäbischen Merkur. Hoffmann war Gründungsmitglied des 1920 gegründeten Vereins für württembergische Kirchengeschichte. Einen intensiven, freundschaftlichen Austausch pflegte Hoffmann zudem mit dem Historiker Dietrich Schäfer, bei dem Hoffmann während seiner Tübinger Studienzeit Vorlesungen besucht hatte. Der Tübinger, 1903 nach Berlin berufene Ordinarius hatte die kirchen- und ortsgeschichtlichen Arbeiten Hoffmanns mit Interesse verfolgt und beraten. Die im Nachlass Hoffmanns verwahrten Briefe Schäfers deuten zudem darauf hin, dass Hoffmann und der konservativ-nationalistisch eingestellte Schäfer in politischen Fragen ähnlich dachten. Drei Jahr nach dem Ende des 2. Weltkrieges und noch vor der Gründung der Bundesrepublik, am 25. September 1948, verstarb Hoffmann in Löchgau.
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Bestandsgeschichte
Der Nachlass von Gustav Hoffmann setzt sich aus verschiedenen Bestandteilen zusammen, die nach und nach zusammengefügt wurden und erst über Umwege ins Landeskirchliche Archiv Stuttgart gelangten. Der Nachlass wurde 1954 zunächst an das Stadtarchiv Heilbronn abgegeben. Dabei wurden einige Briefe dem Nachlass entnommen und dem Hauptstaatsarchiv Stuttgart übergeben, wo sie in den Bestand I 6: "Sammlung familiengeschichtlicher Archivalien" einsortiert wurden. Im Zuge einer Beständebereinigung wurde derjenige Teil des Nachlasses, der im Stadtarchiv Heilbronn verblieb, am 1.12.1997 an das Landeskirchliche Archiv Stuttgart abgegeben. Er bildet nun den Bestand D 89. 2008 erfolgte ein weiterer Zugang: Die an Gustav Hoffman adressierten Briefe von Dietrich Schäfer und Gustav Bossert, die sich bis dahin im "Familienarchiv Haußmann, Besigheim" befanden, wurden im Januar 2008 an das Landeskirchliche Archiv Stuttgart abgegeben und in den Bestand D 89 integriert. Die nachträglich eingefügten Briefe von Bossert und Schäfer aus dem Zeitraum von 1918-1924 bilden die Archivalieneinheit D 89 Nr. 7. Ein Teil des Nachlasses Hoffmann befindet sich nach wie vor im Hauptstaatsarchiv Stuttgart (Bestand: J 50/1.10; vgl. http://www.landesarchiv-bw.de/plink/?f=1-324847). Der Bestand setzt sich aus 18 Verzeichniseinheiten zusammen. Der Umfang beträgt 1,50 lfm. Der 1997 an das Landeskirchliche Archiv abgegebene Bestand wurde im Juli 2018 von Archivreferendar Felix Teuchert im Rahmen eines Archivpraktikums im Landeskirchlichen Archiv Stuttgart erschlossen.
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Struktur, Inhalt und Auswertungsmöglichkeiten
Der Nachlass Hoffmann enthält zum überwiegenden Teil undatierte Materialsammlungen, Notizen, Fragmente, Quellenexzerpte, Quellenabschriften sowie diverse Listen mit Orten, Namen und Daten. Hoffmann fertigte die Notizen als Erinnerungsstützen für den eigenen Gebrauch an. Sie entstanden im Zuge der Vorbereitungen seiner umfangreichen Publikations- und Vortragstätigkeit zu orts- und kirchengeschichtlichen Themen und illustrieren die enorme Fülle an Quellen, auf die Hoffmann für seine historischen Arbeiten zurückgriff. Überwiegend handelt es sich um Exzerpte bzw. Abschriften aus Lagerbüchern, Kopiaren, Urkunden, Urkundenregesten und Repertorien aus dem Staatsarchiv Stuttgart, dem Landeskirchlichen Archiv Stuttgart, mehreren Stadtarchiven und diversen Pfarrarchiven, aber auch um Exzerpte aus Handschriften, die in der Landesbibliothek Stuttgart und anderen Bibliotheken aufbewahrt wurden. Teilweise finden sich auch Vortragskonzepte oder sogar ausformulierte Manuskripte darunter. Insgesamt handelt es sich um ausgesprochen heterogenes, ungeordnetes Material, das sich nur teilweise zu klar abgrenzbare Sinneinheiten bündeln und zusammenfassen ließ, was die Nutzung des Nachlasses insgesamt erschwert. Soweit dies möglich war, wurden bei der Erschließung die ungeordneten und heterogenen Materialsammlungen und Notizen zu thematischen Einheiten zusammengefasst. Thematisch zusammenhängende Materialien wurden dabei in einer Mappe zusammengefasst und im Enthält-Feld ausgewiesen. Aufgrund des lokalgeschichtlichen Interesses Hoffmanns bot es sich dabei an, innerhalb der Verzeichniseinheiten Materialien und Aufzeichnungen zu bestimmten Orten zusammenzufassen und nach Ortsbetreffen abzulegen. Teilweise war es zudem möglich, die Aufzeichnungen konkreten Publikationen zuzuweisen. So befinden sich in D 89 Nr. 7 eine Materialsammlung zu "Kirchenheilige in Württemberg", wobei für jedes Amt bzw. Oberamt eine Liste mit Orten und den zugehörigen Patrozinien angelegt wurde. Ganz offensichtlich dienten diese Sammlungen und Aufzeichnungen der Vorbereitung von Hoffmanns bekannt gewordenem, 1932 in Stuttgart erschienenem Nachschlagewerk "Kirchenheilige in Württemberg." Bei der Zusammenfassung der Unterlagen zu thematischen Einheiten wurde nur dezent und in Ausnahmefällen in die Struktur der Unterlagen eingegriffen, beispielsweise, indem Schriftstücke entnommen und an anderer Stelle einsortiert oder die Reihenfolge der Unterlagen verändert wurden. So wurden beispielsweise die Briefe von Gustav Bossert, die sich bisher an verschiedenen Stellen des Nachlasses befanden, zu einer Einheit zusammengefasst (D 89 Nr. 7); offensichtlich alphabetisch oder chronologisch abgelegte Unterlagen, deren alphabetisches Gliederungsprinzip teilweise durchbrochen war, wurden zudem alphabetisch sortiert. Allerdings wurde darauf verzichtet, das Pertinenzprinzip konsequent anzuwenden - in der Regel wurden Unterlagen nur dann zu einer Einheit zusammengefasst, wenn sie bereits im Ursprungszustand beieinander lagen oder der zusammenhängende Charakter der Materialien offensichtlich war. Es wurde darauf verzichtet, Materialsammlungen zur Geschichte einzelner Orte zusammenzufügen, die sich offensichtlich unterschiedlichen Entstehungskontexten verdanken und sich daher an verschiedenen, auch physisch getrennten Stellen des Nachlasses befanden. Zudem ließen sich Hintergrund, Bezug und Bedeutung mancher Notizen, die teilweise nicht einmal über Titel verfügten, nicht immer ermitteln, so dass es sinnvoller erschien, solche nicht identifizierbaren Materialien in ihrem ursprünglichen Entstehungs- und Verstehenszusammenhang zu belassen. Andernfalls bliebe es späteren Forschungen zu Gustav Hoffmann verwehrt, den Fokus auf die Entstehung und den ursprünglichen Charakter der Unterlagen zu legen und den Sinn dieser Unterlagen herauszuarbeiten. Aufgrund des schwer durchschaubaren Zusammenhangs mancher der Unterlagen wären Eingriffe in die innere Struktur jedenfalls unwiederbringlich. Auf diese Weise werden präzise thematische Zugänge ermöglicht, ohne den Entstehungskontext der Unterlagen zu zerstören. Nicht zuletzt bleibt auf diese Weise das archivfachliche Postulat der Auswertungsoffenheit erhalten.
Neben den Materialsammlungen und Notizen zu orts- und kirchengeschichtlichen Themen finden sich auch Aufzeichnungen, die dem Studium der Heraldik (D 89 Nr. 14-15), der Sphragistik (D 89 Nr. 15) und der Paläographie (D 89 Nr. 17) dienten. Sie enthalten u.a. zahlreiche Drucke und Zeichnungen von Siegeln, Wappen und Inschriften. In D 89 Nr. 17 befinden sich zudem die später hinzugefügten Briefe von Dietrich Schäfer und Gustav Bossert. In D 89 Nr. 13 befinden sich Unterlagen der Familien Hoffmann, Mauch und Planck, darunter auch Fotografien und Zeichnungen. Ein Großteil dieser Unterlagen geht auf Hoffmanns Schwiegervater, Oberrentamtmann August Friedrich Mauch zurück. D 89 Nr. 18 enthält ausnahmslos Fotografien, überwiegend von Epitaphen, Altären und anderen architektonischen Elementen der evangelischen Stadtkirche Gaildorf.
Wenn man sich für die Ergebnisse von Hoffmanns Forschungen oder für die von Hoffmann erforschten Themen selbst interessiert, bieten die publizierten Werke Hoffmanns sicherlich einen besseren und einfacheren Zugang als die im Nachlass verwahrten Unterlagen. Auch das pfarrerliche Wirken Hoffmanns wird anhand des Nachlasses kaum greifbar. Dennoch kann der Nachlass Hoffmann für die kirchengeschichtliche und lokalgeschichtliche Forschung gewinnbringend genutzt werden. Da Hoffmann eine umfangreiche Vortragstätigkeit an den Tag legte, von denen vermutlich nicht alle Vorträge publiziert wurden, lässt sich anhand des Nachlasses ein umfassenderes und detailreicheres Bild von Hoffmanns thematischem und regionalem Spektrum gewinnen, als dies lediglich anhand seiner veröffentlichten Beiträge der Fall wäre. Auch die thematischen Interessen Hoffmanns werden greifbar, der auf lokaler Ebene auch Umwelt- und Naturphänomene sowie Lebensumstände in den Blick nahm - also Themen, auf die erst später im Zuge der Paradigmen zur Umwelt- und Alltagsgeschichte Konjunktur erfuhren. Darüber hinaus gibt der Nachlass Aufschluss über das Netzwerk eines Kirchen- und Heimatgeschichtsforschers, der in einem intensiven Austausch mit dem im Kaiserreich und in der Weimarer Republik renommierten, aber auch deutschnational eingestellten Historiker Dietrich Schäfer pflegte - neben den Briefen Schäfers zeugen mit persönlichen Widmungen versehene Buchgeschenke von diesen Kontakten. Man darf also davon ausgehen, dass Hoffmann seine lokalgeschichtlichen Forschungen nicht isoliert betrieb, sondern den state oft the art der universitären Geschichtswissenschaft durchaus zur Kenntnis nahm. Die Briefwechsel geben nicht zuletzt Aufschluss über Austauschprozesse. Zeitungsausschnitte und Notizen über zeitgenössische politische und theologische Fragen illustrieren das politische und theologische Denken Hoffmanns und verdeutlichen, auf welche Informationsquellen Hoffmann zurückgriff. Nicht zuletzt kann im Rekurs auf das Rohmaterial auch die Genese und Produktion lokal- und kirchengeschichtlichen Wissens untersucht werden: Wie arbeitete ein Lokal- und Kirchenhistoriker im frühen 20. Jahrhundert? In welcher Gestalt liegt das Rohmaterial vor? Welcher Mittel, Werkzeuge und Methoden bediente er sich? Auf welche Quellen griff er zurück; wie wurden diese rezipiert und verwertet, was wurde verwertet, welche Schwerpunkt wurden gesetzt und was wurde im Vergleich zum Rohmaterial ausgespart? Wie wurde lokalgeschichtliches Wissen erzeugt? Anhand des Nachlasses lassen sich also nicht zuletzt der lokalgeschichtliche Wissensstand und die Bedingungen der lokalgeschichtlichen Wissensproduktion, anders formuliert: lokale Wissenskulturen im frühen 20. Jahrhundert untersuchen. Nicht zuletzt sind die Materialien auch deshalb erhaltenswert, weil Hoffmann die Rückseiten von Formularen, Briefen, Behördenkorrespondenzen, Rechnungen, Anträgen, Kalenderblättern oder Zeitungsausschnitten für seine eigenen Aufzeichnungen nutzte. Mit den eigentlichen Vorbereitungen der Publikationen werden daher unbeabsichtigt Unterlagen mit überliefert, die eventuell Einblick in den Pfarralltag und die Kommunikation mit Gemeindegliedern geben können. Diese Unterlagen erhellen zudem die materielle Seite der Text- und Wissensproduktion, die offenbar unter der Maxime des Papier-Sparens stand. |