Seite drucken

Vollansicht Bestand

Signatur: K 12
Name: Freie Volkskirchliche Vereinigung
Laufzeit: 1919-1967
Beschreibung: Zur Geschichte der Freien Volkskirchlichen Vereinigung

Die Freie Volkskirchliche Vereinigung verdankt ihre Entstehung den theologischen Auseinandersetzungen, die im ausgehenden 19. Jahrhundert über zentrale Fragen des kirchlichen Lebens wie den Gebrauch des Apostolikums und über Parallelformularien der Agende ausbrachen und bei Pfarrerschaft und Kirchenvolk für Unruhe sorgten. In den Auseinandersetzungen, die in Württemberg dezidiert sachlich verliefen, suchten sowohl die konservative als auch die freiere Richtung ihre Position dadurch zu stärken, dass sie sich organisierten. 1895 entstand unter Führung des Nagolder Dekans Christian Römer (gestorben 1920 als Stiftsprediger und Prälat in Stuttgart) die Evangelisch kirchliche Vereinigung, eine eher biblisch fundierte denn kirchlich konfessionalistische Vereinigung konservativer Prägung. Als ihr Pendant fungierte die bereits 1894 gegründete "Vereinigung der Freunde für Fortentwicklung der evangelischen Kirche im protestantischen Geist", maßgeblich geprägt von dem Pfarrer von Großaltdorf, Dr. Julius Gmelin. Aus ihr ging sowohl die "Vereinigung für evangelische Freiheit", die bereits in ihrer Namensgebung ihre innere Verbundenheit mit dem Dortmunder Pfarrer Gottfried Traub bekundete, als auch die gemäßigtere "Freie Volkskirchliche Vereinigung". Dezidiertes Ziel der von dem Waiblinger (später Reutlinger) Dekan Gotthilf Herzog 1912 gegründeten Gruppierung war es, der offeneren Richtung in der württembergischen Landeskirche zu größerem Einfluss zu verhelfen, die der Kirche Entfremdeten zurückzugewinnen und das kirchliche und gesellschaftliche Leben im Sinne freier evangelischer Frömmigkeit zu beeinflussen. An dieser Zielsetzung wurde auch nach der Trennung von Staat und Kirche festgehalten, wobei sich der innerkirchliche Gegensatz nunmehr in neuen Formen artikulierte: Seit den kirchlichen Wahlen von 1925 wurden die bislang als "gläubig" oder "positiv" und als "liberal" bezeichneten innerkirchlichen Richtungen nur noch als Gruppe I und Gruppe II unterschieden.
Als bedeutendste intellektuelle Führungsgestalt der der Gruppe II zugerechneten Freie Volkskirchliche Vereinigung darf für die Zeit der Weimarer Republik der Reutlinger Stadtpfarrer und spätere Prälat Jakob Schöll apostrophiert werden. Unter seinem Einfluss verschob sich das programmatische Profil insofern, als dem Versuch, den Prozess der Entkirchlichung der Gesellschaft zu verlangsamen bzw. zu stoppen, zentrale Bedeutung zugemessen wurde. In diesem Kontext ist die Einrichtung regelmäßiger Freizeiten in den Räumen der Evangelischen Schulgemeinde Urspring zu sehen, die seit 1930 durchgeführt wurden. Hierher gehört aber auch die außerordentlich rege Veranstaltungs- und Vortragsaktivitäten der Freien Kirchlichen Vereinigung, die einen wesentlichen Bestandteil ihrer Öffentlichkeitsarbeit ausmachte. Um größtmögliche innerkirchliche und gesellschaftliche Resonanz bemüht, suchte die Freie Volkskirchliche Vereinigung den Anschluss an die ähnlichen Zielen verpflichteten kirchlich-liberalen Landesgruppen in den süddeutschen Nachbarkirchen, Bestrebungen, die schließlich 1932 in den Beitritt zum "Südwestdeutschen Bund für Entschiedenen Protestantismus und freie Volkskirche" einmünden sollten. Durch ihre Mitglieder stand die Freie Volkskirchliche Vereinigung ferner in enger Verbindung mit der Ostasienmission, dem Evangelisch-Sozialen Kongress, der Hallener Konferenz, dem Köngener Bund sowie dem Weltbund für Freundschaftsarbeit der Kirchen. Lose Verbindungen bestanden überdies zu den Religiösen Sozialisten.
Gleichwohl ist nicht zu verkennen, dass die Bedeutung der Freien Volkskirchlichen Vereinigung bereits in der späten Weimarer Republik rückläufig war. Neue theologische Strömungen, eine neue Generation von Pfarrern und der Transformationsprozess der Gesellschaft minderten die innerkirchliche Bedeutung und die gesellschaftliche Resonanz der Freien Volkskirchlichen Vereinigung zusehends. Einen gravierenden Bedeutungsverlust brachte die Zeit des Dritten Reiches: Bei der Abwehr der staatlichen Versuche, die protestantischen Kirchen gleichzuschalten oder zumindest in ihren Artikulationsmöglichkeiten weitestmöglich einzuschränken, spielte die Freie Volkskirchliche Vereinigung so gut wie keine Rolle. Überflügelt von den verschiedenen Gruppierungen der Bekennenden Kirche, verlor die Freie Kirchliche Vereinigung ihre Existenzberechtigung. Zwar überlebte die 1919-1931 sowie 1937-1942 von Adolf Faut, zwischenzeitlich (1931-1937) von Walther Buder und seit 1942 von Hermann Kull geführte Vereinigung die Zeit der NS-Diktatur. Von den 850 Mitgliedern des Jahres 1933 waren aber nur 420 im Jahre 1947 übriggeblieben. Bereits 1949 konstatierte ein führendes Mitglied der Freien Volkskirchlichen Vereinigung, dass "unsere Stimme einfach nicht gehört wird" (K 12, Nr. 1). Ende der 1970er Jahre war die Freie Volkskirchliche Vereinigung faktisch verschwunden.

---

Bestandsgeschichte

Der Bestand wurde 1978 als Nachlass von Pfarrer Theodor Daur (Reichenbach/Fils) dem Landeskirchlichen Archiv übergeben und im Jahre 1994 von Gisela Bezzel geordnet, verzeichnet und erschlossen. Das Findbuch datiert von 1998. Der Bestand erhielt zunächst die Bestandssignatur D 32, wird inzwischen aber unter der Signatur K 12 verwahrt. Der Bestand umfasst bei einer Laufzeit von 1919 bis 1967 0,5 lfd. m in 19 Verzeichnungseinheiten.

---

Weitere Informationen

Die erhaltenen Schriftstücke spiegeln zwar die Entwicklung der Freien Volkskirchlichen Vereinigung durchaus wieder, doch kann ihre Geschichte keinesfalls aus dem stark fragmentierten Bestand rekonstruiert werden. Jeder, der sich mit der Geschichte der Freien Volkskirchlichen Vereinigung beschäftigen möchte, sollte auf unbedingt die Überlieferung des Oberkirchenrats (A 126) konsultieren. Ferner sollten die u.a. in der Landeskirchlichen Zentralbibliothek verwahrten Mitteilungsblätter der Freien Volkskirchlichen Vereinigung berücksichtigt werden.
Umfang: 0,5 lfd. m
Bemerkung: Nachlass der kirchlich-liberalen Gruppierung innerhalb der württembergischen Landeskirche
Verweis: D 32