===== Orts- und Ortskirchengeschichte =====
Gächingen und Lonsingen gehen mit großer Wahrscheinlichkeit auf frühe alemannische Gründungen zurück, auch wenn Gächingen erstmals im Jahr 1209 (das bereits 760 genannte Cachinga ist nicht mit letzter Sicherheit mit Gächingen zu identifizieren) und Lonsingen erstmals im Jahr 1268 schriftliche Erwähnung finden. Bei den Ausgrabungen in der Gächinger Kirche durch das Staatliche Amt für Denkmalpflege in Tübingen im Jahr 1963 wurde innerhalb der aufgedeckten romanischen Grundmauern der steinerne Untergrund einer karolingerzeitlichen Holzkapelle (8./9. Jahrhundert) gefunden. Dies belegt somit nicht nur eine frühe Besiedlungszeit, sondern auch eine frühe kirchliche Versorgung. Die dem heiligen Georg geweihte Kirche zu Gächingen wird zum ersten Mal im "Liber decimationis" des Bistums Konstanz vom Jahr 1275 genannt. Sie war damals die Pfarrkirche für die Orte Gächingen, Würtingen, Upfingen, Sirchingen, Bleichstetten und Lonsingen. Würtingen, Upfingen und Sirchingen wurden noch vor der Reformation selbständige Pfarreien. Zweiundzwanzig Jahre nach der Reformation (1556) wurde das Filial Bleichstetten der Pfarrei Würtingen zugeschlagen. Nachdem Gächingen im Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) starke Zerstörungen und Bevölkerungsverluste erlitten hatte, wurde es der Pfarrei Upfingen als kirchliches Filial zugeschlagen. Erst 1676 bekam Gächingen wieder einen eigenen Pfarrer, Magister Johann Friedrich Hiemer. Er ist der Vater des am 24. Mai 1682 im Pfarrhaus von Gächingen geborenen späteren Prälaten und württembergischen Hofpredigers zu Stuttgart, Eberhard Friedrich Hiemer. Unter Pfarrer Hiemer und seinem Nachfolger, Magister Johann Jakob Zimmermann, wurden die Orte Gächingen und Lonsingen wieder aufgebaut. So sind z.B. in den Heiligenrechnungen 1679-1688 die Erstellung eines Schulhauses, die Wiederherstellung der erst 1619 neu gebauten Kirche und andere Baumaßnahmen überliefert. Hiemer legte auch das erste Kirchenzensurprotokoll in Aktenform an (1677-1681, Bestandsnummer A 27 im Pfarrarchiv), das eine der wichtigsten Quellen zur Einwohner- und Sittengeschichte bildet. Zu dem von ihm angelegten ersten Band der Kirchenkonventsprotokolle (1681-1753) siehe weiter unten. Das als einziger Filialort bei der Muttergemeinde Gächingen verbliebene Lonsingen erhielt 1746 eine eigene Kirche, die im Jahr 1970 einem Neubau weichen musste. Lonsingen wurde vor hundert Jahren selbständige Kirchengemeinde, ist aber bis auf den heutigen Tag mit Gächingen durch die Personalunion des Pfarramts kirchlich verbunden. Kommunalpolitisch sind die ehemalige Muttergemeinde und die Filialgemeinde heute vereinigt. Alle Orte des ehemaligen Kirchspiels - "Kispel" wird es noch heute genannt -, mit Ausnahme von Sirchingen, haben sich bei der Kreisreform im Jahr 1975 zur bürgerlichen Gemeinde St. Johann zusammengeschlossen.
===== Zur Einrichtung des Archivs =====
Eine Vorordnung des Archivguts war bereits im Oktober 1958 von Archivrat Dr. Gerhard Schäfer durchgeführt worden. Die geplante Archivierung (Verzeichnung und Neuaufstellung) unterblieb jedoch und die Bestände gerieten in den nachfolgenden Jahren durch Verlagerungen wieder in Unordnung. Zum Teil lagen sie auf der Kirchenbühne, z. T. in privaten Wohngebäuden. Die 1986-1988 durchgeführte Renovierung des Pfarrhauses in Gächingen und das als Archivraum zur Verfügung gestellte ehemalige Gastzimmer im 2. Stock waren Anlass, die bislang unsachgemäß aufbewahrten und von Feuchtigkeit bedrohten Archivalien sicher und archivgerecht auf Dauer zu lagern und sie durch Ordnung und Verzeichnung zu erschließen und benutzungsfähig zu machen. Die Archivierung wurde dankenswerterweise von Herrn Pfarrer Frey angeregt und unterstützt. Das Archiv des evangelischen Pfarramts Gächingen-Lonsingen wurde vom Bearbeiter in etwa 22 Arbeitstagen im Zeitraum von September 1991 bis Mai 1992 geordnet, verzeichnet und eingerichtet.
[Der Bestand wurde 2007 an das Landeskirchliche Archiv abgegeben.]
===== Bestandsbeschreibung =====
Der Bestand umfasst rund 8 1/2 Regalmeter und ist in insgesamt 429 Bestandsnummern verzeichnet. Das Archivgut ist in 4 Bestandsgruppen eingeteilt: I. Urkunden 0,08 m U 1 - U 24 II. Bände 3,50 m B 1 - B 123 III. Akten 1,73 m A 1 - A 110 IV. Rechnungen 3,25 m R 1 - R 172 Gesamtmenge 8,56 m 429 Bestandsnummern
[2007 sind weitere Unterlagen, Amtskalender bis 2005, hinzugekommen]
Die zwar kleinste, aber auffälligste Bestandsgruppe bilden die 24 Urkunden. Die älteste davon (U 1) stammt aus dem Jahr 1417. Sie ist zugleich das älteste Dokument im Archiv überhaupt. Der Text dieser Urkunde ist in originalem Wortlaut und in der Übertragung in die neuhochdeutsche Sprache im Anhang dieses Findbuchs wiedergegeben. Vier Urkunden (U 1, U 2, U 5, U 6) wurden 1991 in einer Metallschatulle in der Sakristei der Kirche geborgen, worin sich auch der vergoldete Corpus eines kleinen kupfernen Kruzifixes aus romanischer Zeit (etwa 11./12. Jahrhundert) befand, der jetzt gleichfalls im Archivraum aufbewahrt wird. Das Kruzifix wurde bei den Kirchenrenovierungsarbeiten 1963 im Ausgrabungsschutt gefunden. Die Heiligenrechnungen reichen für Gächingen über 300 Jahre zurück. Die ältesten Rechnungen (großenteils nur noch fragmentarisch erhalten) bilden interessante und aufschlussreiche Zeugnisse für die Wiederaufbauphase nach dem verheerenden Dreißigjährigen Krieg mit seinen riesigen Bevölkerungsverlusten, die fast zum Aussterben der beiden Orte Gächingen und Lonsingen geführt haben. Eine besonders wertvolle Geschichtsquelle für den ganzen Bereich des "Kispels" ist auch das Lagerbuch des heiligen Georg zu Gächingen vom Jahr 1564 (B 50).
Der erste Band der Kirchenkonventsprotokolle von 1681-1753 ist schon seit langer Zeit verschollen. Ein Vergleich der im Gächinger Pfarrarchiv vorhandenen Inventarübersichten lässt den Schluss zu, dass dieser Band schon zwischen 1830 und 1844 aus der Gächinger Pfarramtsregistratur entfernt worden sein muss. Vor einem Jahr tauchte diese wichtige orts- und kirchengeschichtliche Quelle ("Gechinger Kirchen Censur Buoch") im Antiquitätenhandel auf und wurde 1991 von privater Hand käuflich erworben. Kirchengemeinde Gächingen und Landeskirchliches Archiv Stuttgart bemühen sich seither um die Wiedererwerbung des Bandes [- leider bisher ohne Erfolg].
Abschließend kann gesagt werden, dass das Pfarrarchiv Gächingen einen verhältnismäßig reichhaltigen Quellenfundus birgt, der nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch viele andere Bereiche der Ortsgeschichte von Gächingen und Lonsingen gut dokumentiert.
Mai 1992 Dr. Karl Kempf [Ergänzung 2023, Uwe Heizmann]
Außerdem vorhanden: Inhalt einer Rohrschatulle/Kapsel von der Turmzier (Inflationsgeld, Urkunde). |