Geschichte des Evangelisch-Theologischen Seminars Urach
Die notwendige Modernisierung des höheren Bildungswesens führte in Württemberg in den beiden ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts zu Reorganisation und Reform der traditionsreichen Klosterschulen. Die neue inhaltliche Orientierung an den pädagogischen Prinzipien der Aufklärung und des Neuhumanismus manifestierte sich auch in der Umbenennung der Klosterschulen in Niedere evang.-theologische Seminare. Diese Bildungseinrichtungen unterstanden nicht mehr der kirchlichen, sondern der staatlichen Aufsicht, die zunächst durch das Geistliche Departement und später durch das Kultminsterium ausgeübt wurde. Durch Zusammenlegung hatte man die Anzahl der vier bestehenden Seminare auf zwei reduziert, eine Regelung, die sich als problematisch erwies. Das enge Zusammenleben verschiedener Promotionen (Jahrgangsklassen) unter einem Dach führte zu disziplinarischen und pädagogischen Schwierigkeiten. So entschloß man sich, die Anzahl der Seminare wieder auf vier zu erhöhen. Bei der Suche nach geeigneter Unterbringung bot die Stadt Urach ihren alten Mönchshof an. Schließlich wurde aus Kostengründen dieser Plan verwirklicht, nicht zuletzt weil sich die Stadt Urach mit einem Betrag 9000 Gulden an dem Vorhaben beteiligte. Nach relativ kurzer Umbauzeit des alten Mönchshofs konnten am 27. November 1818 die ersten Zöglinge in das Seminar Urach aufgenommen werden. Von 1818 bis 1874 wurden die Schüler in einem vierjährigen Kurs unterrichtet. Aus pädagogischen Gründen wurde der Vierjahreskurs 1874 in zwei zweijährige Kurse aufgeteilt, die mit einem Ortswechsel vom ersten zum zweiten Seminar verbunden waren. Urach fungierte als zweites Seminar. Die Schüler wurden zunächst in das Seminar Schöntal aufgenommen und wechselten nach zwei Jahren in das Uracher Seminar. Nach dem 1. Weltkrieg kam es zur Trennung von Kirche und Staat. Das bedeutete, daß für die Seminare hinsichtlich ihrer rechtlichen Stellung und Finanzierung eine neue gesetzliche Regelung gefunden werden mußte. Diese Neuregelung erfolgte durch die Vereinbarung über die evang.-theologischen Seminare vom März 1928 und die Gründung der Evang. Seminarstiftung (s. Amtsblatt der Evang. Landeskirche in Württemberg 1928, Bd. 23, S. 161-163 und S. 176-181). Die Seminare blieben eigene Einrichtungen der Evang. Landeskirche in Württemberg, unterstanden aber gleichzeitig der staatlichen Unterrichtsverwaltung. Die Seminarstiftung diente als gemeinsame Institution von Staat und Kirche zur Verwaltung und Leitung der Seminarschulen. Im Jahr 1941 beschlagnahmten die Nationalsozialisten alle vier Seminare und etablierten dort staatliche Schulen. Am 1. Oktober 1941 wurde die Deutsche Heimschule Urach eröffnet, die sich jedoch nur 2 Jahre halten konnte. Das leerstehende Seminargebäude wurde zwischenzeitlich anderweitig genutzt, dann wieder durch die Nationalsozialisten als Aufbaubauschule. Bei Kriegsende wurden die Gebäude durch Bombenangriffe beschädigt. Die Aufbauschule flüchtete und löste sich mehr oder weniger von selbst auf. Nach dem Zusammenbruch bemühte sich die Landeskirche bei den Alliierten um die Rückgabe ihrer Seminarschulen. Bereits am 10. Oktober 1945 konnte die 50. Uracher Promotion in das Seminar einziehen. Ende der 60er Jahren zeichneten sich durch die anstehende Reform der gymnasialen Oberstufe neue Probleme ab. Das geforderte System von Leitungskursen in der Sekundarstufe II verlangte aufwendige Veränderungen zur Anpasssung der alten Bausubstanz und eine bessere personelle Ausstattung mit Lehrkräften. Über die enormen Kosten solcher Veränderungen wurden innerhalb der Landeskirche äußerst kontrovers diskutiert. Schließlich entschloß man sich zur Aufgabe von zwei Seminaren. Maulbronn und Blaubeuren blieben bestehen. Das Unterstufeneminar Schöntal wurde 1975 geschlossen, das Oberstufenseminar Urach mit zweijähriger Verzögerung 1977.
---
Bestandsgeschichte und Bestandsbearbeitung
Der Bestand des aufgelösten Seminars wurde 1977 vom Landeskirchlichen Archiv Stuttgart übernommen. Die Ordnung und Verzeichnung erfolgte 1991/92 durch Barbara Springer. Das Findbuch wurde 1994 fertiggestellt. Bei der Verzeichnung wurde deutlich, daß die älteste Registraturstufe nahezu vollständig zerstört ist. Wahrscheinlich ist diese Zerstörung auf die schriftstellerische Tätigkeit von Ephorus Eitle zurückzuführen. Eitle verfaßte zum 100jährigen Seminarjubiläum eine Geschichte des Seminars, die zwar vorbildlich auf den Quellen bzw. Akten der Einrichtung basiert, wobei jedoch der Registraturzusammenhang zerstört wurde und gar Aktenteile verloren gingen. Ab 1912 war ein neuer Registraturplan für die Höheren Schulen gültig (s. Amtsblatt für das Kirchen- und Schulwesen Nr. 23, S 415 ff.), der auch nach 1945 verbindlich war (s. Erlaß A Nr. 1826, 27, 3 von 1947 in C 10, 155). Erst 1970 wurde ein neuer Einheitsaktenplan eingeführt, der 1972 erweitert wurde (s. Amtsblatt des Kultministeriums, 1970, S. 420-421, desgl. 1972, S. 1103-1104). Bei der Verzeichnung wurden vier Abteilungen gebildet. Die eigentlichen Akten sind in den beiden Abteilungen Akten des Ephorats und Akten der Wirtschaftsführung zu finden. Innerhalb der Aktenabteilungen wurde versucht, die alten Registraturstufen wieder herzustellen. Den Akten vorangestellt wurde die Abteilung Grundbücher und Statute, nachgestellt die Abteilung Bilder und Fotos. |