Königin Paulinenstift Friedrichshafen
Johann Christoph Rau gründete 1854 in Friedrichshafen eine Töchterschule. Bereits zwei Jahre später musste er den Betrieb wieder einstellen. Stadtpfarrer Leube und Kaufmann Lanz sahen jedoch Potential in Raus Idee und organisierten die Weiterführung der Einrichtung. Königin Pauline von Württemberg konnten sie als Schirmherrin gewinnen, so dass der Neugründung der nun Paulinenstift genannten Einrichtung im Jahr 1856 nichts mehr im Wege stand. Die königliche Familie blieb dem Stift immer verbunden. Nach Pauline übernahmen sowohl ihr Sohn Karl I. als auch dessen Nachfolger Wilhelm II. das Protektorat. Nach seiner Abdankung behielt Wilhelm die Schirmherrschaft weiter, die nach seinem Tod von seiner Frau übernommen wurde und schließlich von Herzog Philipp Albrecht weiter aufrechterhalten wurde.
Das Stiftungsvermögen wurde von einem Verein verwaltet. Der Vorstand des Vereins leitete auch den Verwaltungsrat. Stadtpfarrer Leube war der erste Vorstand, übergab die Leitung dann an Dr. Jetter (1867-1878). Dem folgten Prof. Kuhn (1878-1888), Prof. Knapp (1888-1904), Dr. Uebele (1904-1909) und Dr. Vöhringer (1909-1918). 1918 übernahm der aus dem Krieg zurückgekehrte Lehrer Prof. Hermann Neeff die Leitung, die er bis 1958 ausübte und dann an Dr. König (1958-1974) abgab. Der Verwaltungsrat hatte seine Pläne einem königlichen Kommissär im Konsistorium vorzulegen, der nach 1918 in der Ministerialabteilung für höhere Schulen saß. 1930 wurde das Paulinenstift vom Kultministerium als Schule anerkannt und erhielt ab dann staatliche Unterstützung. Die Leitung des Schulbetriebs lag in den Händen einer Lehrerin, wobei hier mit Erna von Domarus (1923-1942) und Gudrun Grabert (1950-1964, 1967-1974) zwei Persönlichkeiten benannt werden können, die nicht nur sehr lange am Paulinenstift tätig waren, sondern sich bei den Schülerinnen größter Beliebtheit erfreuten.
Die Mädchen wurden bei der Schulgründung in einem Privathaus unterrichtet. Als die Anmeldezahlen stiegen, das Haus zu klein wurde, konnte 1868 nahe dem Seeufer ein Grundstück erworben werden, das im Laufe der Zeit neue Gebäude und Umbauten erhielt, um den jeweiligen Anforderungen gerecht zu werden. Denn die Betreuung der Mädchen wandelte sich im Laufe der Zeit. War die Schule zu Beginn eine Erziehungsstätte für höhere Töchter, um diese auf ihre Aufgaben als Ehefrau vorzubereiten, wurde sie vor dem Ersten Weltkrieg zur Mädchenrealschule. 1912 wurde eine Haushaltungsschule angegliedert. 1932 erfolgte die Umbenennung zur Mädchenoberschule mit Mittlerer Reifeprüfung und die Einrichtung einer einjährigen Frauenfachklasse, in der zwischen 20 und 30 Mädchen unterrichtet wurden. Auch ein Kindergarten befand sich zur Ausbildung der Mädchen auf dem Gelände und im großen Stiftsgarten wurde Gartenbau gelehrt. 1937 musste die Schule aufgrund ihrer christlichen Prägung geschlossen werden, 1942 wurde auch der Internatsbetrieb eingestellt.
Nach dem Krieg setzte Hermann Neeff alles daran, das Paulinenstift wieder zu beleben. Das Gebäude war von den Besatzungsmächten belegt und teils zerstört. Staatliche Wiederaufbaukredite und finanzielle Unterstützung durch die Landeskirche, die Innere Mission, die Kirchengemeinde Friedrichshafen und privater Spender ermöglichten dann den Wiederaufbau des Stiftsgebäudes und die Wiederaufnahme des Schulbetriebs. Das Gustav-Adolf-Werk unterstütze die Einrichtung auch später noch finanziell. Die Fördergelder waren jedoch an Voraussetzungen gebunden. So saßen im Verwaltungsrat nun Vertreter des Gustav-Adolf-Werks, des OKR und der Kirchengemeinde Friedrichshafen. Die Zusage von Staatszuschüssen war außerdem an die Auflage geknüpft, ein Altenheim einzurichten. Auf dem Gelände entstand daher eine Einrichtung, in der erst 19, später 25 ältere, aber nicht pflegebedürfte Menschen Platz fanden. Die Vorständin organisierte den Betrieb, die Schülerinnen übernahmen Aufgaben zur Versorgung der Bewohner.
1950 begann der Unterricht der Frauenfachklasse mit 24 Mädchen, ein Jahr später wurde außerdem noch eine Haushaltungsklasse angeboten. Die Haushaltungsklasse dauerte zuerst ein halbes Jahr, ab 1953 wurde dann eine einjährige Ausbildung eingeführt. Das Lernen zusätzlicher Fremdsprachen, Klavierunterricht, Skiausfahrten, Ausflüge und Konzertbesuche rundeten das Angebot ab. Ein Alleinstellungsmerkmal waren die Segelkurse. Der Yachtclub Deutschland führte diese durch und hatte dafür auf dem Seegartengelände des Stifts sein Vereinsheim erbauen dürfen. Die Ausbildung zielte vor allem auf die Vermittlung von Kenntnissen in der Haushaltsführung sowie der Möglichkeit des anschließenden Erlernens pflegender und erzieherischer Berufe ab. Vor allem Mädchen aus wirtschaftlich besser gestellten Familien zählten zu den Schülerinnen. Das hing nicht zuletzt mit dem Schulgeld zusammen, welches für die Frauenfachklasse 1960 2750 DM betrug, für die Haushaltungsklasse 1966 3200 DM. Die Schülerinnen kamen aus ganz Deutschland. Erwähnenswert ist der hohe Anteil an Schülerinnen aus Mexiko und Chile. Die Töchter von zumeist deutschen Auswanderern wurden von ihren Familien zum Erlernen oder Verbessern der Sprache nach Friedrichshafen geschickt.
In den 1960er Jahren gingen die Anmeldezahlen im Paulinenstift zurück. Die Haushaltungsklasse musste mangels Nachfrage 1968 eingestellt werden. Dafür wurde ein gymnasialer Aufbauzug hauswirtschaftlicher Form angeboten. Die Schülerinnen lebten im Internat und wurden am städtischen Graf-Zeppelin-Gymnasium unterrichtet. Im selben Jahr wurde der Ortsausschuss eingerichtet, der Aufgaben des Vorstands übernahm und einen verkleinerten Verwaltungsrat unter Einbeziehung der Lehrkräfte darstellte. Er war der Versuch, die drohende Schließung der Einrichtung zu verhindern. Als weiterer Schritt wurde 1972 die Frauenfachklasse zur Berufsfachklasse umgestellt. Allerdings wurde in dieser Form nur ein Jahrgang unterrichtet und das Format 1973 bereits wieder eingestellt. Alle Versuche, die Schule neu aufzustellen, scheiterten. 1975, noch vor dem Abschluss des Jahrgangs 1973/76 des gymnasialen Aufbauzugs, wurde der Schulbetrieb beendet, der Verein aufgelöst und das Gelände der evangelischen Heimstiftung übergeben, die das Altenheim weiterführte.
Die vollständig erhaltenen Schülerinnenakten nach 1950, wie auch die Lebensläufe der Bewohner des Altenheims sind sozialgeschichtlich sehr wertvoll. Sie zeichnen ein Bild der Nachkriegsgesellschaft, die von Flucht und Vertreibung, Auswanderung und dem Tod vieler Väter und Ehemänner gekennzeichnet ist. Außerdem lässt sich der Wandel im Rollenbild der Frau feststellen wie auch der Übergang in die Wirtschaftswundergesellschaft der 1960er Jahren.
Bestandsgeschichte
Der Bestand L 14 umfasste zu Beginn circa 11 lfd. m. Akten von der Gründung des Paulinenstifts 1856 bis zur Auflösung 1974 und war teilweise nach Aktenplan geordnet. Hierunter fallen vor allem die Personalakten der Schülerinnen nach 1950 sowie die der Bewohner des Altenheims. Diese Akten unterliegen alle einer Schutzfrist von 120 Jahren. Dasselbe gilt für die Personalakten des Lehrkörpers sowie der Hauswirtschaftsangestellten. Die Tätigkeiten von Vorstand, Verwaltungsrat und Ortsausschuss sind aus den Handakten der Schulvorsteherinnen sowie des Vorstands nachzuvollziehen. Diese haben unterschiedliche Laufzeiten, weshalb sich vor allem Protokolle mehrfach wiederfinden und eine geschlossen chronologische Ordnung nicht gegeben ist. Außerdem finden sich eine Vielzahl unsortierter Bauakten, die thematisch zusammengefasst wurden. Die Schultagebücher nach 1950 sind lückenlos vorhanden und wurden ebenfalls verzeichnet. Rechnungen (ca. 0,5 lfd. m) wurden ebenso wie Kassenbücher aus dem Zeitraum 1950 bis 1974 kassiert.
In den Schülerinnenakten befinden sich s/w-Fotografien der Schülerinnen, die in den Akten belassen wurden. Der Bestand umfasst nach der Verzeichnung ca. 8,1 lfd. m Akten mit 220 Verzeichnungseinheiten.
Das vorliegende Archivinventar wurde im Frühjahr 2022 von Steffen Kaiser erstellt. |