Evangelische Wohnheim Stuttgart Stuttgarter Jugendverein und Verein zur Fürsorge von Fabrikarbeiterinnen
Nur drei Jahre liegen die Gründungsdaten des Stuttgarter Jugendvereins und des Vereins zur Fürsorge von Fabrikarbeiterinnen auseinander. 1864 beziehungsweise 1867 wurden die Organisationen ins Leben gerufen, deren Ziele die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum sowie die Fürsorge bedürftiger Menschen waren und sind. Der Verein für Fabrikarbeiterinnen kümmerte sich um die im 19. Jahrhundert durch die aufkommende Industrialisierung neu entstehende Gruppe von Arbeiterinnen, denen günstiger Wohnraum in einer gesicherten Umgebung zur Verfügung gestellt werden sollten. Der Jugendverein bot jungen Männer, die in Stuttgart eine Lehrlingsausbildung machten oder in Fabriken arbeiteten, eine kostengünstige Bleibe sowie Freizeitangebote. Im Laufe der Jahre bauten beziehungsweise erwarben die beiden Vereine Immobilien, um so den notwendigen Wohnraum zu schaffen. Der Jugendverein begann im Neeffhaus, weihte 1876 das Torhospiz als Lehrlingswohnheim ein, erweiterte sich 1901 mit dem Bau des Brenz-Hauses und nur vier Jahre später mit dem Hans-Sachs-Haus. Der Verein für Fabrikarbeiterinnen baute 1874 das Blumhardt-Haus als Wohnheim, 1908 kam das Käthe-Luther-Haus als Wohnheim hinzu und 1927 wurde das Diefenbach-Haus für Kriegerwitwen eingeweiht.
Die Gründung des Stuttgarter Jugendvereins war verbunden mit der Einrichtung der ersten Jugendpfarrstelle in Stuttgart 1863. Geleitet vom Jugendpfarrer organisierte der Verein den Lehrlingsfeierabend, eine Herberge für Handwerker, einen Kindergarten sowie einen Jünglingsverein. Die Nachfrage war vorhanden. Bereits 1912 waren 700 bis 800 junge Männer bei den Lehrlingsabenden versammelt. Im Vereinsgarten in der Dobelstraße und später im Täle genannten großen Freizeitgelände im Feuerbacher Tal gab es auch die Möglichkeit der sportlichen Betätigung. Musikalisch konnte man sich um die Jahrhundertwende im Orchester oder dem Chor betätigen. Und vor dem Ersten Weltkrieg bildete sich eine große Pfadfinderabteilung. Mit der Anmietung eines ehemaligen Militärgeländes in Breithülen wurde 1925 eine Möglichkeit zur Ausrichtung von Freizeiten geschaffen, 1931 dann mit dem Erwerb des Kurhauses Viktoria in Schönwald im Schwarzwald eine eigene Immobilie erworben, die nun für die verschiedenen Gruppen und Kreise als Ausflugsziel diente. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde darin ein Kindererholungsheim eingerichtet, ab den 1970er Jahren ein Freizeitheim, ehe das weitläufige Grundstück nebst Gebäuden 1987 verkauft wurde.
1924 benannte sich der Verein für Fabrikarbeiterinnen in Verein für Mädchenwohnheime um und trug damit dem Umstand Rechnung, dass inzwischen Frauen in vielen Berufen tätig waren und eine Unterkunft in der Stadt suchten. Auch der Stuttgarter Jugendverein änderte 1939 seinen Namen. Die Bezeichnung als Evangelischer Verein für Volksheime in Stuttgart geschah allerdings nicht ganz freiwillig, wurde jedoch notwendig, da die Jugendarbeit außerhalb von NS-Organisation verboten war. Um zu überleben und die Gebäude zu sichern, wurde daher die Namensänderung umgesetzt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten die Vereine den Wiederaufbau ihrer zerstörten Gebäude zu organisieren und strukturierten sich auch teils neu. Der ehemalige Jugendverein veräußerte das Torhospiz und erwarb dafür 1964 das spätere Hotel Wartburg, ein dem Verband christlicher Hotels noch heute angehörendes Hotel. Das Brenzhaus wurde neu aufgebaut. 1979 wurde das seit 1939 vom Katharinenhospital gemietete Hans-Sachs-Haus wieder übernommen. Dafür wurde das Neeffhaus an die Stadt Stuttgart veräußert. Der Verein für Mädchenwohnheime baute das im Krieg zerstörte Blumhardt-Haus wieder auf, errichtete in direkter Nachbarschaft 1956 das Elisabeth-Stahl-Haus und verband beide Gebäude 1965 durch das Hermann-Löffler-Haus. Auch das Käthe-Luther-Haus sowie das Diefenbachhaus waren weiterhin in Benutzung.
1992 fusionierten die beiden Vereine unter der Bezeichnung Evangelische Wohnheime Stuttgart e.V. und verfestigten dadurch eine Verbindung, die schon längere Zeit lose bestand. Denn die Verwaltungsarbeit lag seit mehreren Jahrzehnten in den Händen eines Verwaltungsleiters und der von 1954 bis 1985 amtierende Oberkirchenrat Stöckle war Vorstand beider Vereine.
Bestandsgeschichte
Der Bestand L 16 umfasst die Aktenbestände des ehemaligen Jugendvereins Stuttgart wie auch des ehemaligen Vereins zur Fürsorge von Fabrikarbeiterinnen aus dem Zeitraum 1864 bis zur Fusion 1992 und wurde 2017 an das Landeskirchliche Archiv in Stuttgart abgegeben. Vor der Verzeichnung waren circa 11 lfd. m. Akten vorhanden, teilweise nach Aktenplan geordnet. Bestehende Ordnungssysteme wurden bei der Verzeichnung wenn möglich beibehalten.
Die Rechenschafts- und Jahresberichte wurden jeweils auf drei Exemplare reduziert und chronologisch geordnet. Ca. 0,1 lfd. Meter Baurechnungen wurden kassiert. Zum Verkauf des Kurhauses Viktoria waren umfangreiche Aktenbestände vorhanden, die die Verhandlungen mit unzähligen Kaufinteressenten teils mehrfach dokumentierten. Die Dopplungen wurden ebenso kassiert wie die vielen Kaufanfragen, die nicht weiter verfolgt wurden. Die vorhandenen Bauakten wurden thematisch nach Häusern zusammengefasst. Bilanzen und Jahrespläne sowie Verwaltungspläne wurden auf je drei Exemplare reduziert und zusammen verzeichnet. In den Beständen vorgefundene Veröffentlichungen wurden herausgenommen und an die Landeskirchliche Zentralbibliothek in Stuttgart übergeben. Hierzu zählen vor allem die gebundenen Mitteilungsblätter des Jugendvereins. Diese wurden chronologisch sortiert und Mehrfachausgaben kassiert. Broschüren oder Informationsmaterial mit Bezug zur Akte wurde in der jeweiligen Verzeichnungseinheit belassen. Aus konservatorischen Gründen werden Fotos im Fotoarchiv des Landeskirchlichen Archivs aufbewahrt und führen deshalb eine entsprechende Standortsignatur. Der Fotobestand umfasst 221 Verzeichnungseinheiten mit ca. 1,0 lfd. Metern, bestehend aus Papierabzügen, Dias und Glasnegativen. Bei den Fotos wurden die vielen Duplikate kassiert. Des Weiteren zählen Klischees (Druckplatten) zum Bestand. Diese wurden in elf thematisch geordnete Verzeichnungseinheiten gefasst. Klischees, die bereits in Form von Fotos oder Negativen vorlagen, wurden kassiert. Außerdem sind zwei Tonbänder von 1964 vorhanden, die beim Bestand verwahrt werden. Wenige Verzeichnungseinheiten sind mit Sperrvermerken versehen, in der Regel aufgrund der allgemeinen Sperrfrist von Archivgut von 30 Jahren. Personenbezogene Akten erhielten einer Sperrfrist von 120 Jahren.
Der Bestand umfasst nach der Verzeichnung ca. 4,7 lfd. m Akten mit 355 Verzeichnungseinheiten.
Das vorliegende Archivinventar wurde von März bis Mai 2022 von Steffen Kaiser erstellt.
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