Geschichte der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees
1946 gelangten rund 500.000 Flüchtlinge und 49.000 Evakuierte nach Baden-Württemberg. Damit stellten sie rund 15 % der Landesbevölkerung.[1] Diese Zahlen veranschaulichen die Notwendigkeit organisierter Hilfe für die Bewältigung der Unterbringung, Versorgung und Integration der Flüchtlinge in den Nachkriegsjahren. Nachdem bereits seit Juli 1945 inoffizielle Hilfswerke tätig waren, beschloss die Versammlung berufener Vertreter der Heimatvertriebenen im Juni 1946 in Frankfurt am Main die Gründung von Hilfskomitees durch legitimierte kirchliche Vertreter.[2] Dass sich die Hilfskomitees auf kirchlicher Ebene organisierten, liegt darin begründet, dass jedweder Zusammenschluss von Heimatvertriebenen bis Ende 1946 von der Militärregierung nur auf kirchlicher Ebene geduldet worden war. Zudem bot die Württembergische Landeskirche mit ihren Ortverbänden geeignete Voraussetzungen für die Eingliederung der Heimatvertriebenen, die unter der Devise "Hilfe zur Selbsthilfe" von statten ging.[3] Am 11. Oktober 1946 wurden die Hilfskomitees von der evangelischen Kirche Deutschlands anerkannt. Arnold Jaki, langjähriger Vorsitzender der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees, umschrieb ihre Position in einem Bericht 1975 folgendermaßen: "Die Hilfskomitees sind aus der Notsituation des Zusammenbruches und der Vertreibung und Flucht, man kann sagen, selbstverständliche Einrichtungen der damaligen Kirchen der Ostgebiete."[4] Nachdem im Dezember 1946 Richtlinien zur Eingliederung der Hilfskomitees der Volkskirchen in das Hilfswerk der evangelischen Landeskirche Württemberg erlassen worden waren, schlossen sich 1947 die 13, auf dem Territorium Badens und Württembergs etablierten, Hilfskomitees zu der Dachorganisation "Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees" zusammen. Im Einzelnen setzte sich die Arbeitsgemeinschaft aus folgenden Hilfskomitees zusammen:
- Hilfskomitee der evangelisch lutherischen Deutschbalten - Hilfskomitee der evangelisch lutherischen Kirche aus Bessarabien - Hilfskomitee für die evangelischen Deutschen aus der Bukowina - Hilfskomitee der evangelischen Deutschen du der Dobrudscha - Hilfskomitee der Galiziendeutschen - Hilfskomitee der evangelischen Kirche aus Jugoslawien - Hilfskomitee der evangelisch lutherischen Ostumsiedler - Hilfskomitee der evangelischen Deutschen aus Polen - Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen in Württemberg - Hilfskomitee der evangelisch lutherischen Slowakeideutschen - Hilfskomitee Gemeinschaft evangelischer Schlesier - Hilfskomitee der evangelischen Sudetendeutschen - Hilfskomitee für die deutschen Evangelischen aus Ungarn[5]
Ihren Vorsitz übernahm der aus Bessarabien stammende Pfarrer Albert Kern. Somit unterstand der Verband dem württembergischen Hilfswerk - ab 1970 dem Diakonischen Werk in Württemberg - und auf Bundesebene dem ebenfalls 1946 gegründeten Ostkirchausschuss. Die Arbeitsgemeinschaft kümmerte sich in erster Linie um die Finanzierung der Hilfskomitees, welche vorrangig durch das Baden-Württembergische Innenministerium, Hauptabteilung für Flüchtlinge, Vertriebene und Kriegsgeschädigte sowie die Landeskirche Württemberg gewährleistet wurde. Zudem vertrat die Arbeitsgemeinschaft die politischen Interessen der Hilfskomitees. Die Mitarbeit bei der Erstellung der "Charta der deutschen Heimatvertriebenen" oder bei Fragen zum deutsch-polnischen Verhältnis macht dies evident. Eine weitere Aufgabe der Arbeitsgemeinschaft lag in der Vorbereitung und Durchführung diverser Veranstaltungen, beispielsweise des Gedenkgottesdienstes "20 Jahre Heimatvertrieben". Es ist ersichtlich, dass der Geschichte der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees nicht nur lokale Bedeutung beizumessen ist, sondern dass sie auch die deutsche Nachkriegsgeschichte manifestiert. Im Rahmen der Arbeitsgemeinschaft arbeiteten die einzelnen Hilfskomitees selbstständig. Der Aufgabenbereich der Hilfskomitees wurde nie explizit definiert. In den Anfangsjahren standen die karitative und seelsorgerische Hilfe im Vordergrund. Auch die Familienzusammenführung war ein wichtiges Wirkungsfeld. Außerdem wurde Siedlungs- und Auswanderungshilfe geleistet. Darüber hinaus wurde versucht die Heimatvertriebenen in ihre neue Umgebung zu integrieren. Späterhin verschoben sich die Aufgabenfelder. Nebst sich immer mehr entfaltenden dokumentarischen Tätigkeiten, waren nun die Betreuung älterer Menschen und Spätumsiedler zentrale Themen. Gleichsam wurden Hilfeleistungen für Gemeindemitglieder in den Herkunftsländern unterstützt.[6] So genannte Rüstzeiten, in deren Rahmen oftmals heimat- und kirchengeschichtliche Themen, aber auch aktuelle Fragen behandelt worden sind, galten allen Hilfskomitees als Höhepunkte ihrer Arbeit. In der Geschichte der Hilfskomitees lässt sich also eine Entwicklung von Hilfe anbietenden zu kulturellen Einrichtungen nachvollziehen. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees wider. 1973 übernahm der aus Galizien stammende Pfarrer Arnold Jaki den Vorsitz der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees. Zu dieser Zeit setzte auch die Umstrukturierung der Hilfskomitees ein. Einige schlossen sich mit ihren Landsmannschaften zusammen, andere ließen sich als eingetragene Vereine aufführen. Bis heute sind bundesweit 16 evangelische Hilfskomitees der Vertriebenen aus Ost- und Südosteuropa im Konvent ehemaliger evangelischer Ostkirchen organisiert. Dieser wiederum untersteht der EKD. Im Zuge dieses Strukturwandels wurde die Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees Ende der 1990er Jahre in die Heimatortkartei überführt.[7]
[1] Merz (2002), S. 65. [2] Als erstes Hilfskomitee wurde das "Hilfswerk für evangelische Umsiedler innerhalb der evangelischen Landeskirche Württemberg" bereits am 2. Juli 1945 gegründet. Es entstand demnach noch vor dem Württembergischen Hilfswerk. [3] Merz (2002), S. 67. [4] LKAS, K 18, Nr. 19. [5] LKAS, K 18, Nr. 19. Die Bezeichnungen einzelner Hilfskomitee änderten sich im Laufe der Jahre. [6] LKAS, K 18, Nr. 19. [7] Telefonische Auskunft, Ingo Rüdiger Isert, Bundesvorsitzende Bessarabiendeutscher Verein e. V., 27. 06. 2007.
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Bestandsgeschichte
Auf Grund einer Anfrage der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees, vertreten durch Pfarrer Graef, wurde vorliegender Bestand dem Landeskirchlichen Archiv 1989 übergeben. Im Rahmen eines Werkvertrages wurde der Bestand im Juni 2007 von Vicky Marie Eichhorm nach den Ordnungs- und Verzeichnisgrundsätzen der Landeskirche Württembergs mit Hilfe des Verzeichnisprogrammes Faust 6 bearbeitet. Der Bestand setzte sich aus 16 Aktenordnern und circa 40 cm losen Akten zusammen und wurde bei einer Begutachtung am 15. September 1989 nummeriert, wobei die losen Akten römische Kleinbuchstaben, die Ordner arabischen Zahlen erhielten. Die Akten und Ordner wurden darüber hinaus mit einem Titel versehen, der den jeweiligen inhaltlichen Schwerpunkt wiedergab. Diese Vorsignatur bot eine erste Struktur des Materials, weshalb der Bestand, zumal er von überschaubarer Größe ist, nicht vorgeordnet werden musste. Allerdings stellte sich im Zuge des Verzeichnens heraus, dass die Akten in sich oft ungeordnet waren. Aus diesem Grunde wurde eine neue Klassifikation erstellt, die sich in erster Linie nach inhaltlichen Kriterien richtete. Die meist chronologisch geführten Akten wurden zu Gunsten einer thematischen Ordnung gemischt. Inhaltliche Schwerpunkte bilden zum einen die Sitzungsprotokolle und Jahresberichte der einzelnen Hilfskomitees und der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees, aus denen die jeweiligen Tätigkeiten hervorgehen. Zum anderen bilden die Korrespondenz mit dem Innenministerium sowie der Schriftverkehr zwischen den Hilfskomitees und der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees einen Schwerpunkt, da sie Einblick in die Organisation der Verbände gewähren. Anhand der einzelnen Hilfskomitees lässt sich die Veränderung ihrer Aufgabenfelder gut ablesen.
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Bestandsbearbeitung
Im Zuge der Verzeichnung wurden Dubletten und circa 70 cm Archivgut nicht bleibenden Wertes nach der geltenden Archivordnung kassiert. Hierbei handelte es sich zumeist um Rechnungen, Quittungen und Kassenbelege. Hingegen verblieben mehrere Informationsveröffentlichungen, vor allem des Innenministeriums, des Ostkirchen-ausschusses und des Diakonisches Werkes in Bestand, da sie es erlauben die Arbeit der Stuttgarter Arbeitsgemeinschaft der Hilfskomitees in ihrem kontextuellen Spektrum wahrzunehmen. Ein Buch und ein Plakat wurden dem Bestand entnommen und bei den entsprechenden Sammlungen verzeichnet. Der Erhaltungszustand lässt sich als gut bezeichnen. Der Bestand umfasst nunmehr circa 1,5 laufenden Meter. Er wurde entmetallisiert in säurefreies Material verpackt und dem Magazin hinzugefügt. |